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Premiere: Bundesweiter „Strafkammertag“ am 16. Februar 2016 im Landgericht Hannover

Datum: 10.02.2016

Kurzbeschreibung: 

Rund 70 Richterinnen und Richter aus Strafsenaten und Strafkammern aus allen Oberlandesgerichtsbezirken Deutschlands treffen sich am 16. Februar 2016 im Landgericht Hannover (Volgersweg 65, 30175 Hannover).

 

Anlass ist die aktuelle rechtspolitische Diskussion um die Frage, wie der Strafprozess effektiver und praxistauglicher gestaltet werden kann. Hierzu hat im Oktober 2015 eine vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) eingerichtete Expertenkommission ihren Bericht vorgelegt. Die Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte haben zu diesen Vorschlägen am 13. Oktober 2015 Stellung genommen (vgl. Anlage) und beschlossen, durch die erstmalige Organisation eines „Strafkammertages" Experten aus der Praxis die Gelegenheit zu geben, sich dazu zu Wort zu melden. Gerade wenn es um die Praxistauglichkeit etwaiger Reformvorhaben geht, ist es unerlässlich, denjenigen Gehör zu verschaffen, die sich als Richterinnen und Richter in ihrem beruflichen Alltag mit Verfahrensvorschriften zu befassen haben.

 

In der gerichtlichen Praxis ist der Bericht der Expertenkommission auf geteiltes Echo gestoßen. Während einzelne Vorschläge übereinstimmend begrüßt werden, sind auch Zweifel geäußert worden, ob das Ziel eines effektiveren und praxistauglichen Strafverfahrens mit dem Maßnahmenkatalog erreicht werden kann.

 

Das Programm des Strafkammertages ist als Anlage beigefügt. Nach einer Begrüßung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgen Ansprachen von Frau Antje Niewisch-Lennartz (Justizministerin des Landes Niedersachsen), Frau Dr. Stefanie Hubig (Staatssekretärin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz) und Frau Bettina Limperg (Präsidentin des Bundesgerichtshofs). Im Anschluss daran tagen fünf Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen. Am Nachmittag werden die Ergebnisse im Plenum vorgestellt und zur Abstimmung gestellt.

 

Ab 09:30 Uhr in Raum 1149 stehen die Präsidentin und die Präsidenten der Oberlandesgerichte Bamberg, Braunschweig, Celle, Frankfurt/Main, Köln, Schleswig und Stuttgart, die den Strafkammertag organisieren, für Fragen zur Verfügung.

 

Vertreterinnen und Vertreter der Presse sind herzlich willkommen. Bitte melden Sie sich an unter: olgce-pressestelle@justiz.niedersachsen.de.



Anlage 1

Zeitplan für den bundesweiten Strafkammertag am 16. Februar 2016

Zeitplan für den bundesweiten Strafkammertag am 16. Februar 2016



ab 9.30 Uhr

Anreise und Begrüßungskaffee im Landgericht Hannover (Volgersweg 65, 30175 Hannover)

1. OG Treppenhaus vor und im Saal 1 L 1

10.00 - 10.15 Uhr

Grußworte von VPräsLG Kreutzer und PräsOLG Dr. Götz von Olenhusen

Schwurgerichtssaal

Grußwort von Justizministerin Niewisch-Lennartz

10.15 - 10.30 Uhr

Grußwort von Präs’inBGH Limperg

10.30 - 11.00 Uhr

Einleitungsvortrag von Staatssekretärin Dr. Hubig zu den Reformüberlegungen des BMJV im Strafverfahrensrecht

11.00 - 14.30 Uhr

Diskussion und Entwicklung von Vorschlägen in fünf Ar-beitsgruppen, inkl. Mittagessen in den jeweiligen Räumen

Arbeitsgruppe 1:

Vorschläge der Expertenkommission des BMJV

Moderation: PräsOLG Dr. Poseck

Arbeitsgruppe 2:

Handlungsbedarf in Wirtschaftsstraf-verfahren

Moderation: PräsOLG Scheibel

Arbeitsgruppe 3:

Handlungsbedarf beim Prin-zip des gesetzlichen Richters

Moderation: PräsOLG Lückemann

Arbeitsgruppe 4:

Verfahrensleitung versus Verteidigerrechte („contempt of court")?

Moderation: PräsOLG Dr. Steinle

Arbeitsgruppe 5:

Handlungsbedarf bei Befan-genheit, Beweisanträgen und Besetzungsrügen

Moderation:

PräsOLG Kamp

14.30 - 15.00 Uhr

Gemeinsame Kaffeepause

1. OG Treppenhaus vor und im Saal 1 L 1

15.00 - 16.00 Uhr

Vorstellung der Arbeitsgruppenergebnisse im Plenum

Schwurgerichtssaal

 

 

Anlage 2

OLG-Präsidenten machen Vorschläge für Strafprozess

- gemeinsame Pressemitteilung vom 13. Oktober 2015 -

 

Die Oberlandesgerichte begrüßen den Vorstoß des BMJV, den Strafprozess effektiver und praxistauglicher zu gestalten. Sie haben bereits im Jahr 2010 eigene Gesetzgebungsvor-schläge unterbreitet, die genau dieses Ziel verfolgen. Die Oberlandesgerichte würden es befürworten, wenn bei der weiteren Diskussion auch diese Vorschläge in den Blick ge-nommen würden.

Im Zentrum ihrer Anregungen stehen Reformen des derzeit starren Systems der Vertei-lung der Strafverfahren innerhalb der Gerichte, um mithilfe eines effektiven Personalein-satzes die Strafverfahren zu beschleunigen. Die Vorschläge der Oberlandesgerichte se-hen ferner Reformen im Bereich des Rechts der Befangenheitsanträge, der Beweisanträ-ge und der Besetzungsrügen sowie bei der Auswahl des Pflichtverteidigers vor.

 

Im Einzelnen:

 

Flexiblere Verteilung der Verfahren

Das geltende Recht stellt an die ordnungsgemäße Besetzung von Strafkammern und an die Geschäftsverteilung der Gerichte hohe formelle Anforderungen. Deshalb sind der Um-verteilung der Verfahren zwischen verschiedenen Strafkammern eines Gerichts im laufen-den Geschäftsjahr enge Grenzen gesetzt. Der Eingang von Umfangsverfahren oder Haft-sachen führt immer wieder dazu, dass die zu Jahresbeginn bestimmten zuständigen Straf-kammern nicht mehr alle Verfahren zügig bewältigen können. Deshalb soll durch ergän-zende Regelungen im Gerichtsverfassungsgesetz die Möglichkeit verbessert werden, auch diejenigen Strafverfahren schneller zu erledigen, in denen Angeklagte nicht inhaftiert sind.

Damit langdauernde Strafverfahren nicht durch Pensionierung eines Richters neu aufge-rollt werden müssen, soll zudem der Richter auf seinen Antrag berechtigt sein, die Amts-geschäfte für die Dauer dieses Verfahrens fortzuführen.

 

Befangenheitsanträge

Um Verfahrensverzögerungen durch Befangenheitsanträge - insbesondere Kettenableh-nungen - zu vermeiden, wird vorgeschlagen, die Zuständigkeit einer speziellen Strafkam-mer für die Entscheidung über die Anträge festzulegen und den Fortgang des Strafverfah-rens bis zur Entscheidung über den Antrag zu ermöglichen. Ferner soll dem Antragsteller aufgegeben werden können, seinen Befangenheitsantrag schriftlich zu stellen. In der Pra-xis ist immer wieder zu beobachten, dass Befangenheitsanträge mündlich über Stunden begründet werden, obwohl über die Anträge in der Regel außerhalb der Hauptverhandlung von anderen Richtern zu entscheiden ist.

 

Beweisanträge

Um die Verschleppung von Verfahren durch Beweisanträge zu verhindern, wird vorge-schlagen, eine Frist für solche Anträge in die Strafprozessordnung aufzunehmen.

 

Auswahl des Pflichtverteidigers

Zur Verfahrensbeschleunigung soll außerdem die Möglichkeit eröffnet werden, die Bestel-lung des Pflichtverteidigers zurück zu nehmen, wenn mit ihm Verhandlungstermine nicht zeitnah bestimmt werden können.


 

Nachfolgend finden Sie die Vorschläge im Wortlaut:

Gesetzgebungsvorschläge der OLG-Präsidentenkonferenz zu Strafprozessordnung und Gerichtsverfassungsgesetz

- Überarbeitete Fassung September 2015 -

 

1. Recht der Befangenheitsanträge

  • Befangenheitsanträge führen zwar nicht in der Masse, aber durchaus in einigen Verfahren zu erheblichen Verzögerungen. Das gilt vor allem für sogenannte Kettenablehnungen.
  • Es könnte erwogen werden, durch eine Änderung von § 27 StPO die Zuständigkeit für die Entscheidung über Befangenheitsanträge einer speziellen Strafkammer zu-zuweisen. Eine solche Regelung hätte den Vorteil, dass die Zuständigkeit von vornherein feststünde; außerdem könnte sich die größere sachliche Ferne positiv auf die Akzeptanz der Entscheidung auswirken.
  • Um bei mehrfachen Befangenheitsanträgen den zeitlichen Entscheidungsdruck zu reduzieren, sollte § 29 Abs. 2 Satz 1 StPO etwas flexibler formuliert werden, etwa dahin, dass über die Ablehnung binnen angemessener Frist, spätestens vor der Ur-teilsverkündung, - oder zu einem sonstigen, vom Gesetzgeber zu bestimmenden späteren Zeitpunkt - zu entscheiden ist.
  • Mitunter werden noch kurz vor den Schlussvorträgen Befangenheitsanträge mit dem Ziel gestellt, während der dadurch ausgelösten Unterbrechung der Hauptver-handlung Material für neue Beweisanträge sammeln zu können. Dem Anreiz, zu diesem späten Zeitpunkt Befangenheitsanträge zu stellen, könnte mittelbar durch eine Ergänzung des § 246 Abs. 1 StPO vorgebeugt werden, wonach Beweisanträ-ge, die erst nach dem letzten Wort des Angeklagten gestellt werden, unzulässig sind.
  • Streichung des § 26 Abs. 1 Satz 2 StPO: Durch den dort derzeit geregelten Aus-schluss der Geltung des § 257a StPO ist es den Gerichten derzeit verwehrt, dem Antragsteller aufzugeben, seinen Befangenheitsantrag schriftlich zu stellen. In der Praxis ist immer wieder zu beobachten, dass diese gegenwärtige Regelung dazu missbraucht wird, Befangenheitsanträge mündlich über Stunden zu begründen, obwohl über die Anträge in der Regel in der Besetzung außerhalb der Hauptver-handlung von anderen Richtern zu entscheiden ist.

 

2. Recht der Pflichtverteidigung

Nennenswerte Verfahrensverzögerungen treten dadurch ein, dass Vertrauens-Pflichtverteidiger zeitlich überlastet sind. Das führt zu Terminsverlegungen und zu Verzö-gerungen anderer Art. Der daraus erwachsende Konflikt zwischen dem Beschleunigungs-gebot und dem Recht auf Verteidigung durch einen Verteidiger des Vertrauens könnte durch eine klarstellende gesetzliche Regelung in § 143 Abs. 2 StPO entschärft werden, wonach die Bestellung eines Pflichtverteidigers zurückzunehmen ist, wenn bei Fortdauer der Bestellung das Beschleunigungsgebot verletzt wird.

 

3. Beweisantragsrecht

Die jüngere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde, hat der verspäteten Stellung von Beweisanträgen mit Verschleppungsab-sicht Grenzen gesetzt. Gleichwohl ist die Rechtslage unsicher. Diese Unsicherheit könnte dadurch behoben werden, dass in § 246 Abs. 1 StPO eine angemessene Frist für die Stel-lung von Beweisanträgen statuiert wird, nach deren fruchtlosem Ablauf die Anträge zu-rückgewiesen werden können, sofern die Verspätung nicht nachweislich unverschuldet war. Die unter Nr. 1 angeregte Ergänzung des § 246 Abs. 1 StPO bleibt davon unberührt.

 

4. Der gesetzliche Richter

Das geltende Recht stellt an die ordnungsgemäße Besetzung von Spruchkörpern und an die Geschäftsverteilung der Gerichte hohe formelle Anforderungen: Insoweit sind Modifika-tionen zu erwägen, die einem effizienten Personaleinsatz und zugleich der Verfahrensbe-schleunigung dienen. Durch den Eingang von Umfangsverfahren oder den vermehrten Eingang von Haftsachen treten immer wieder Situationen ein, die dazu führen, dass mit dem vorhandenen Bestand an Strafkammern die Verfahren nicht mehr in angemessener Zeit bewältigt werden können. Präsidien reagieren daher häufig mit der Bildung von Hilfs-strafkammern oder der Ableitung von Verfahren. Diese sind mitunter eine Quelle von Be-setzungsrügen und Urteilsaufhebungen.

 

a) Vorabentscheidung über Besetzungsrügen

Es erscheint sinnvoll, wenn bei einer erhobenen Besetzungsrüge über diese Rüge vorab - - 8 -

und nicht erst mit der Revision - verbindlich und endgültig entschieden würde. Mehrmona-tige Hauptverhandlungen unter dem Damoklesschwert einer Aufhebung wegen möglich-erweise fehlerhafter Besetzung würden dadurch vermieden. Welcher Spruchkörper (Straf-senat beim BGH oder Oberlandesgericht) in welcher Zeit und auf welcher Entscheidungs-grundlage (nach revisionsrechtlichen oder beschwerderechtlichen Maßstäben) über die Besetzungsrüge abschließend entscheiden soll, soll hier zunächst offen und dem weiteren Gesetzgebungsprozess überlassen bleiben.

 

b) Besondere Strafkammern

Nach geltendem Recht sind der Zuweisung anderer richterlicher Geschäfte an besondere Strafkammern (Schwurgerichts- und Wirtschaftsstrafkammern) im laufenden Geschäftsjahr enge Grenzen gesetzt. Das erschwert die Möglichkeit, zeitnah für einen angemessenen Belastungsausgleich zu sorgen. Das geltende System führt dazu, dass Nichthaftsachen nicht gefördert werden. Dem könnte durch eine entsprechende Ergänzung von § 74 Abs. 2 und § 74c Abs. 1 GVG abgeholfen werden. Hilfreich wäre es auch, wenn durch eine ge-setzliche Regelung klargestellt werden könnte, dass Kammern nur für die Erledigung von Nichthaftsachen eingerichtet werden können. Damit soll erreicht werden, dass bei einem unerwartet hohen Eingang von Haftsachen in diese Kammern keine Haft-Verfahren abge-leitet werden können, also ggf. Hilfsstrafkammern eingerichtet werden müssen. Nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass bei unerwartet vielen Haftsachen auch die Nichthaftsachen in angemessener Zeit erledigt werden.

 

c) Gerichtsbesetzung

Die in § 222a Abs. 2 StPO vorgesehene Frist zur Besetzungsmitteilung lässt sich in der Praxis häufig nicht einhalten, was zu Anträgen auf Unterbrechung der Hauptverhandlung führen kann. Da die Aussetzung der Hauptverhandlung wegen vorschriftswidriger Beset-zung selten ist, erscheint die Vorschrift entbehrlich. § 222b Abs. 2 StPO müsste entspre-chend angepasst werden.

 

d) Altersgrenze

Bisweilen stellt sich bei langdauernden Strafverfahren das Problem, dass ein Mitglied der Strafkammer demnächst die Altersgrenze erreicht. Dem könnte durch eine Öffnung von § 4 Abs. 2 DRiG Rechnung getragen werden, wonach der erkennende Richter auf seinen Antrag berechtigt ist, die Amtsgeschäfte für die Dauer dieses Verfahrens fortzuführen.

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