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Erstes Jahrespressegespräch der neuen Präsidentin des Oberlandesgerichts Stuttgart Cornelia Horz: „Ein stabiler Rechtsstaat ist nicht auf Dauer selbstverständlich - wir sollten sehr sorgsam mit ihm umgehen.“

Datum: 01.03.2018

Kurzbeschreibung: 

Beim heutigen Jahrespressegespräch des Oberlandesgerichts Stuttgart blickte Präsidentin Cornelia Horz zusammen mit Vizepräsidentin Agnes Aderhold auf Entwicklungen des vergangenen Jahres zurück und stellte die Statistik 2017 vor. Außerdem gab sie einen Ausblick zu wichtigen Themen des Jahres 2018.

Die 110 Richterinnen und Richter des Oberlandesgerichts waren 2017 mit über 3.600 Neueingängen in Zivilsachen, mehr als 2.600 neuen Familiensachen und rund 2.700 Neueingängen in Strafsachen befasst. Der gegenüber 2016 leichte Rückgang der Eingänge in einigen Bereichen bedeute allerdings nicht weniger Arbeit für die Richterinnen und Richter, so Cornelia Horz. Sie stellte dar, dass viele Verfahren immer komplexer werden. Der „Diesel-Abgasskandal“ beschäftige mittlerweile fast alle Zivilsenate in über 80 Prozessen. Auch die erstinstanzlichen Staatsschutzprozesse, bei denen es oft um Terrorismus und Kriegsverbrechen geht und die fast immer Auslandbezüge aufweisen, verlangten vom Oberlandesgericht bei vier Neu­eingängen im Jahr 2017 weiterhin einen hohen Einsatz an Ressourcen. Ein sehr starker Anstieg um das 6,25fache auf 306 Anträge war beim Ermittlungsrichter des Oberlandesgerichts zu verzeichnen. Dieser entscheidet u. a. über Anträge auf Telekommunikationsüberwachung und Durchsuchungen bei Staatsschutzverfahren, die von der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart geführt werden. Besonders deutlich fiel der Zuwachs mit 40 % wieder bei den 6-Monats-Haftprüfungsverfahren aus, nachdem hier bereits im Vorjahr ein Anstieg um über 75 % festzustellen war. Dabei handelt es sich um solche Verfahren, bei denen Beschuldigte in Untersuchungshaft sind und die Strafsenate die Fortdauer der Haft zu prüfen haben, weil innerhalb von sechs Monaten nicht mit der Hauptverhandlung vor einem Amts- oder Landgericht begonnen werden kann.

Gerade wegen dieser aus der Steigerung der Haftprüfungsverfahren ersichtlichen, deutlich angespannten Lage bei den Gerichten im Bezirk begrüßte die Präsidentin ausdrücklich die im Doppelhaushalt 2018/2019 enthaltenen Neustellen für die Justiz, von denen 67 für Richter und Staatsanwälte vorgesehen sind, als weiteren notwendigen Schritt zu einer bedarfsgerechten Personalausstattung der Justiz. Auf die insgesamt acht Landgerichte und 56 Amtsgerichte des Bezirks entfallen nach derzeitigem Stand 16 neue Stellen. 

Im Weiteren skizzierte Cornelia Horz einige Vorhaben für 2018 und führte dabei aus: „Es ist mir wichtig, dass die Justiz mit der Öffentlichkeit in Kontakt tritt, um ihre Arbeitsweise zu erklären. Nur was man kennt, weiß man zu schätzen. Ein Rechtsstaat lebt ganz wesentlich vom Vertrauen seiner Bürger in die Dritte Gewalt. Ein Blick auf die Geschehnisse in anderen Staaten, auch innerhalb der EU, zeigt, dass ein stabiler Rechtsstaat nicht auf Dauer selbstverständlich ist und wir sehr sorgsam mit ihm umgehen sollten“. 2018 wird es verschiedene Anlässe geben, bei denen Bürgerinnen und Bürger das Oberlandesgericht kennen lernen können, so etwa am 20. Oktober 2018, wenn es sich erstmals an der sogenannten „Stuttgart Nacht“ beteiligt. Auch wenn das neue Prozessgebäude für Hochsicherheitsverfahren in Stuttgart-Stammheim eingeweiht werden wird, soll die Öffentlichkeit dies kennenlernen und sich dabei über die Arbeit der Justiz informieren können. Weiter äußerte sich Präsidentin Horz zuversichtlich, dass die zusammen mit dem Landgericht Stuttgart und dem Haus der Geschichte Baden-Württemberg konzipierte Dauerausstellung zum Gedenken an die Opfer der NS-Justiz, die aufgrund von Urteilen der Sondergerichte in Stuttgart im Innenhof des Justizgebäudes hingerichtet wurden, noch 2018 eröffnet werden kann.

Die Präsidentin berichtete zusammen mit Eberhard Stößer, Vorsitzender eines Familiensenats, über neuere Entwicklungen und Herausforderungen im Bereich der Familiensachen, die die Gerichte bereits in erster Instanz, aber auch bei den Familiensenaten zunehmend belasten. Sie unterstrich dabei einleitend: „Unsere Familiengerichte haben wichtige, oft brisante Themen zu bearbeiten, die dem Alltag vieler Bürgerinnen und Bürger ganz nah sind und tief in das Leben der Betroffenen eingreifen können. Der Spagat zwischen Kindeswohl und Elternrecht fordert die Kolleginnen und Kollegen zunehmend.“ Ein Blick auf die Zahlen zeige Verschiebungen weg von Auseinandersetzungen um Unterhalt oder Vermögen hin zu anteilig mehr Streit um die Kinder. „Man könnte sagen,“ so Präsidentin Horz, „die Richter der Familiengerichte werden immer mehr zu sozialpädagogisch geforderten Schlichtern“.

Vizepräsidentin des Oberlandesgerichts Agnes Aderhold blickte auf die gewaltige Aufgabe der Umsetzung der Notariats- und Grundbuchamtsreform im Jahr 2017 zurück: „Auch wenn es an der einen oder anderen Stelle noch nicht rund läuft, was angesichts der Mammutaufgabe auch nicht verwundert, bin ich sehr zuversichtlich, dass wir die Startschwierigkeiten zügig in den Griff bekommen. Ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Notariate und Amtsgerichte, die die Hauptlast zu tragen hatten, aber auch meinem Team hier im Haus für den außerordentlichen persönlichen Einsatz und die große Bereitschaft, die tiefgreifenden Veränderungen der Jahrhundertreform mitzutragen und das Neue positiv zu gestalten“.

Mit dem Slogan „Mit Recht in die Zukunft“ warb die Vizepräsidentin für einen Berufseinstieg bei der Justiz: Das für die Nachwuchsgewinnung der Justiz im nichtrichterlichen Bereich in Württemberg zuständige Oberlandesgericht Stuttgart vergebe jährlich über 250 attraktive Studien- und Ausbildungsplätze. Oft sei eine wohnortnahe Studienpraxis oder Ausbildung an einem der zahlreichen Amtsgerichte möglich. Die bedarfsgerechte Anzahl an Studien- und Ausbildungsplätzen sichere später beste Übernahmechancen.

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